Ursprüngliche deutsche Fassung
Die glühende Sonne strahlte auf das staubige Antlitz der Stadt. Die einzige Zuflucht boten die Palmendächer des Marktes. So suchten dort viele den kühlen Schatten. Doch riskierten sie dabei hitzige Köpfe durch den unerbittlichen Kampf der Händler. Diese versuchten ihre Waren den Besuchern schmackhaft zu machen.
Berge aus Gewürzen und Kräutern, Obst und Gemüse, Teppichen und Tüchern. Alles Gebirgsketten des Überflusses. Geschaffen, um dem Auge zu schmeicheln, zu verführen, doch etwas länger zu verweilen und einen genaueren Blick zu riskieren.
Doch die Überflutung an Reizen schafft vor allem eins: Verwirrung.
Man weiß gar nicht, wohin man zuerst blicken soll.
Eine perfekte Bühne für den, der weiß, mit Verwirrung zu spielen.
Ein junger Mann tauchte in den Trubel des Marktes. Zuerst ungesehen, ging er ganz in der Menge unter.
Er blickte ruhig um sich, beobachtete das Treiben der Leute.
Ein kleiner Junge lief an ihm vorbei. Er stieß eine alte Zwiebel vor sich hin, als wäre sie ein Ball. Der Blick der beiden kreuzte sich für einen kurzen Moment. Sie lächelten sich an. Dann verschwand der Junge wieder im Gewirr der Menschen.
Die Schau der Güter hatte keinen Einfluss auf den Fremden. Denn er ist nicht gekommen, um zu handeln. Er ist gekommen, um selbst ein Schauspiel darzubieten.
So holte er drei Keulen unter dem Schutz seines blutroten Burnus hervor. Einem langen Gewand mit Kutte. Ideal gegen die sandigen Winde der Wüste, die ihn beheimateten.
Er legte die drei Keulen zu einem Dreieck und krönte sich damit selbst. Mit der Leichtigkeit eines Kindes drehte er sich um seine eigene Achse, und ermöglichte so allen einen guten Blick auf sich.
"Seht her, seht her!", rief er dabei.
"Unser erhabener König beehrt uns einfaches Volk mit seiner Anwesenheit."
Sofort waren alle Augen auf ihn gerichtet.
Der König? Hier? Auf dem Markt? Er würde doch niemals den Komfort seines gewaltigen Palastes verlassen. Doch als sie den jungen Mann erblickten, brachen sie in großem Gelächter aus.
Er hatte die Aufmerksamkeit des Trubels für einen kurzen Augenblick für sich gewonnen. Und diesen Augenblick wusste er gut zu nutzen.
Er ergriff zwei Zacken seiner Krone und schleuderte damit, in einer gekonnten Bewegung, die dritte Keule in die Luft.
Und begann somit zu jonglieren.
Der Ablauf seiner Bewegungen und der Flug der Keulen war so perfekt, so fließend, dass sie zusammen einen Körper des Spektakels bildeten.
Er konnte diesen Körper beliebig formen, ihn drehen und wenden, wie er wollte, ihn zu unvorstellbaren Größen aufblähen. So groß, dass jeder dachte, er würde fallen. Doch immer, wenn es so aussah, als hätte er die Kontrolle über seine Keulen verloren, so fing er sie nur noch schwungvoller wieder auf, mit einem immer gelassenen Lächeln auf den Lippen. Das Aufseufzen der Menschen vereinte sich dabei jedes Mal zu einem gemeinsamen Atemzug, der diesen Körper belebte. Und selbst, wenn er eine Keule fallen ließ, so schleuderte er diese mit dem Fuß sofort wieder in die Luft und machte damit das Spektakel nur umso größer. Es war unmöglich, einen Fehler zu erkennen.
Er war ein Meister der Verschleierung.
Schon bald hatte sich der gesamte Markt um ihn versammelt. Selbst die Händler waren von seinem Anblick in den Bann gezogen worden und vergaßen ganz ihren Handel.
Eine junge Katze erklomm mit sanftem Sprüngen einen der Berge, um sich einen Fisch zu stehlen, und verschwand damit rasch und unbemerkt wieder unter den Boxen.
Die stillen Diebe des Marktes.
Plötzlich löste sich einer der Beutel vom Gewand des Jongleurs.
Blitzschnell stürmte ein Junge aus der Menge, schnappte sich den Beutel und tauchte wieder im Chaos unter, das ihn eben erst geboren hatte.
Der Jongleur beobachtete gelassen das Geschehen, ohne den Ablauf seines Spiels zu unterbrechen. Er brauchte nicht einmal seine Keulen zu beobachten, um sie durch die Luft zu wirbeln.
Er blickte lächelnd die Soldaten an, welche mit im Publikum standen.
"Ich unterhalte sie ja liebend gerne, meine Herren. Doch wären sie so nett, den Dieb für mich zu fangen?", sagte er unbeschwert.
Wieder brach die Menge in Gelächter aus.
Beschämt sahen sich die Soldaten an und erwiderten mit einer Stimme:
"Jawohl, Herr!" Als wäre der Befehl vom König selbst gekommen.
Nach einigen Minuten kamen sie mit dem Jungen wieder.
"Wir haben den Strolch in einer der Gassen gefunden. Er wird seine gerechte Strafe erhalten", sagte der Offizier stolz, als er auf den Jongleur zu ging, um ihm seinen Beutel wieder zu geben. Laut dem Gesetz war die Strafe für Diebstahl das Abschlagen beider Hände durch das Schwert.
Der Jongleur hatte sein Werk immer noch nicht unterbrochen.
"Gute Arbeit, meine Herren! Aber seien Sie nicht so hart zu dem Kleinen. Ich steckte einst auch in seinen Lumpen. Er ist wahrscheinlich halb am Verhungern. Nehmen Sie ein paar Münzen aus meinem Beutel und kaufen Sie ihm Brot, Feigen und Orangen, auf dass er für heute nicht wieder sein Übel verrichten muss."
Die Soldaten sahen sich verblüfft an. Eine solche Güte für eine räudige Straßenratte? Doch das Publikum spendete der Barmherzigkeit des Jongleurs tobenden Beifall, und somit wollten sie ihm nicht widersprechen. Der Offizier stellte sich mit großen Worten bereit, die Kosten zu übernehmen, doch die Händler gaben das Essen kostenlos.
"Wie könnten wir bei solch einer edlen Tat nur Geld verlangen?"
Jeder schien, in seinem plötzlichen Ausbruch an Edelmut, den anderen übertrumpfen zu wollen. Natürlich würden sie so etwas niemals tun, wäre nicht die Aufmerksamkeit des gesamten Marktes auf sie gerichtet gewesen.
Denn sie alle wollten sich in die Wärme des Lichtes stellen, das vom Jongleur ausging.
Wie ihnen aufgetragen, gaben sie dem Jungen das Essen. Dieser nahm es schweigend und mit hängendem Kopf entgegen. Das Publikum brach wieder in Beifall aus.
Doch plötzlich erhob der Junge den Kopf und sah den Jongleur zornig an.
"Ich pfeife auf deine falsche Barmherzigkeit, du Clown! Für heute wäre mein Magen voll, doch morgen muss ich wieder hungern. Friss dein Brot doch selber!"
Und er schmiss das Brot dem Jongleur entgegen.
Dieser fing es ohne weiteres auf und baute es in seine Kunststücke mit ein. Das Publikum hatte den Atem angehalten. Das Drama war perfekt. Gespannt warteten sie auf die Antwort des Jongleurs.
"Nun, wenn du es nicht essen willst, dann genehmige ich mir eben einen Bissen. Du kannst ja solange etwas Nützliches lernen."
Er zwinkerte ins Publikum und warf dem Jungen eine Keule zu. Der Junge fing diese geschickt auf und jonglierte mit Obst und Keule, während der Jongleur nun mit einer Hand seine Kunststücke fortführte und mit der anderen genüsslich vom Brot abbiß.
Das Publikum war außer sich vor Begeisterung. Sie hätten niemals gedacht, dass der Junge zum Jongleur gehörte. Zusammen vollführten sie die wildesten Tricks. Die Masse war völlig hypnotisiert vom Geschehen.
Zum großen Finale holte der Junge einen Beutel hervor und hielt ihn sich hinter dem Rücken. Der Jongleur ließ alle Dinge in einem hohen Bogen im Beutel verschwinden.
"Vielen Dank für Ihre ungeteilte Aufmerksamkeit, meine lieben Damen und Herren! Wir sind einfache Leute und nehmen das Essen dankbar als Spende für unsere kleine Vorstellung an. Ihr wart ein wundervolles Publikum!"
Sie verbeugten sich tief zum abschließenden Applaus der Menge, welcher für Minuten anzuhalten schien. Selbst als die beiden ganz plötzlich die staubige Bühne des Marktes wieder verließen. Die Vorstellung mag zwar beendet sein, ihr Zauber hallte jedoch noch lange in den Herzen der Leute wieder.
Stunden später, als die Strahlen der Abendsonne die Häuser der Stadt in ein sanftes Rot tauchten und die langen Schatten der Moscheen sich in der Wüste zu verlaufen schienen, saßen beide auf der Mauer der Stadt.
"Wie immer gute Arbeit, liebes Brüderchen", sagte der Jongleur zum Jungen und schälte sich eine Orange.
"Wie immer eine gute Idee", antwortete der Junge augenzwinkernd und stand auf.
Er nahm die Hand vor die Augen und blickte in die ewige Leere der Wüste.
Einige Zeit schien er etwas in der Ferne zu suchen, doch dann merkte er auf:
"Ah! Da ist sie ja!"
Beide kletterten geschickt die bröckelige Steinmauer herunter und liefen auf einen schwarzen Flecken in der Ferne zu.
Der Fleck wurde immer größer, bis er sich schließlich zu einer zierlichen Gestalt formte.
"Na! Wie lief's diesmal, Schwesterherz?"
Die drei nahmen sich innig in den Arm.
"Hervorragend! Selbst die Soldaten haben nichts bemerkt, als ich ihnen ihre Beutel abschnitt."
Mit einem breiten Grinsen zeigte sie den beiden ihre reichliche Ausbeute.
An jenem Tag kam wohl jedem Besucher der Schatten des Marktes zu teuer.
Die Drei verschwanden schließlich wieder zwischen dem Rot der untergehenden Abendsonne und dem ewig gelben Sand der Sahara.
Auf ihrem Weg zur nächsten Stadt, zum nächsten Markt, zu ihrem nächsten Spektakel.
The glowing sun shone down on the dusty face of the city. The only refuge was offered by the palm roofs of the market. Many people sought the cool shade there. However, they risked getting heated heads due to the relentless battle of the merchants to make their wares appealing to the visitors.
Mountains of spices and herbs, fruit and vegetables, carpets and fabrics - all mountain ranges of abundance. Created to flatter the eye, to seduce and make one linger a little longer and take a closer look.
But the flood of stimuli creates above all one thing: confusion.
One doesn't even know where to look first.
A perfect stage for someone who knows how to play with confusion.
A young man emerged into the turmoil of the market. At first, he went unnoticed and completely blended in with the crowd. He looked around calmly, observing the commotion.
A little boy ran past him. Kicking an old onion in front of him as if it were a ball. Their eyes met for a brief moment, and they smiled at each other. Then the boy disappeared again into the tangle of people.
The luring display of goods had no effect on the stranger. For he had no interest in trading. He had come to put on a show himself. So he pulled out three clubs from under the protection of his blood-red burnous. A long garment with a hood. Ideal against the sandy winds of the desert, which were his home.
He laid the three clubs in a triangle and crowned himself with them. With the ease of a child, he spun around his own axis, allowing everyone a good look at him.
"Look here, look here!" he called out.
"Our exalted king is honoring us simple folks with his presence."
Immediately, all eyes were on him.
The king? Here? On the market? He would never leave the comfort of his mighty palace. But when they saw the young man, they bursted out in great laughter.
He had won the attention of the crowd for a short moment. And he knew how to use this moment well. He grasped two points of his crown and, with a skilled movement, hurled the third club into the air.
And so he began to juggle.
The sequence of his movements and the flight of the clubs was so perfect, so fluid, that they formed a body of spectacle. He could shape this body at will. He could turn and twist it as he wanted. He could inflate it to unimaginable sizes, so large that everyone thought it would fall. But every time it seemed as though he had lost control of his clubs, he caught them again with even more momentum, with an ever-calmer smile on his lips. The sighs of the people merged into a collective breath, which gave life to this body. And even when he dropped a club, he immediately kicked it back into the air with his foot. Making the spectacle even greater. It was impossible to detect a mistake.
He was a master of deception.
Soon, the entire market had gathered around him. Even the merchants were entranced by his sight and forgot all about their trade.
A young cat climbed with careful leaps one of the mountains, snatched a fish, and disappeared quickly and unnoticed under the boxes.
The silent thieves of the market.
Suddenly, one of the pouches on the juggler's garment came loose.
In a flash, a boy from the crowd rushed forward, grabbed the pouch, and dove back into the chaos that had just given birth to him.
The juggler observed the scene calmly, without interrupting the flow of his game. He didn't even need to watch his clubs to whirl them through the air.
He looked at the soldiers standing in the audience and smiled.
"I'm happy to entertain you, gentlemen. But would you be so kind as to catch the thief for me?" he said nonchalantly.
The crowd burst out laughing again.
The soldiers looked at each other in embarrassment and replied in unison:
"Yes, sir!" as if the order had come from the king himself.
After a few minutes, they returned with the boy.
"We found the rascal in one of the back-alleys. He will receive his just punishment," the officer said proudly as he approached the juggler to return his pouch.
According to the law, the punishment for theft was chopping off both hands with a sword.
The juggler had still not interrupted his act.
"Good job, gentlemen! But don't be too hard on the little one. I was once in his torn rags. He's probably half-starving. Take a few coins from my pouch and buy him bread, figs, and oranges. So he won't have to commit his mischief again today."
The soldiers looked at each other in amazement. Such kindness for a little punk from the streets? But the audience applauded the juggler's mercy, and they didn't want to contradict him. The officer offered to cover the costs, but the merchants gave the food for free.
"How could we ask for money in the face of such a noble act?"
Everyone wanted to outdo each other in a sudden burst of generosity. Of course, they would never do such a thing if the attention of the entire market had not been focused on them.
Each one wanted to stand in the warmth of the light that emanated from the juggler.
As instructed, they gave the boy the food. He took it silently, with his head hung low. The audience applauded again.
But suddenly, the boy raised his head and looked at the juggler with anger.
"I don't need your fake mercy, you clown! Today my belly will be full, but tomorrow I'll have to starve again. Go eat the bread yourself!" And he threw the bread at the juggler.
The juggler caught it effortlessly and incorporated it seamlessly into his act. The audience held its breath. The drama was perfect. They waited eagerly for the juggler's answer.
"Well, if you don't eat it, then I'll just take a bite. You can learn something useful in the meantime."
He winked at the audience and threw the boy a club. The boy caught it skillfully and began to juggle with the fruits and the club, while the juggler performed his tricks with one hand and took a savory bite of the bread with the other.
The audience was fully ecstatic. They had never suspected that the boy was part of the act. Together, they performed the wildest tricks.
The crowd was completely hypnotized now by the spectacle.
For the grand finale, the boy pulled out a pouch and held it behind his back. The juggler made all the objects disappear into the pouch, in a high arc.
"Thank you all or your undivided attention, dear ladies and gentlemen! We are simple folks and gratefully accept the food as a donation for our little show. You were a truly wonderful audience!"
They bowed deeply to the applause of the crowd, which seemed to last for minutes. Even as the two of them suddenly left the dusty stage of the market.
The show may have been over, but its magic still lingered in the hearts of the people.
Hours later, as the rays of the setting sun bathed the houses of the city in a soft red light and the long shadows of the mosques seemed to get lost into the desert, the two of them sat on the city wall.
"As always, good job, little brother," said the juggler to the boy, and peeled an orange.
"As always, a good idea," replied the boy with a wink, and stood up.
He put his hand in front of his eyes and looked out into the endless emptiness of sand.
For a while, he was searching for something in the distance, but then he exclaimed:
"Ah, there she is!"
The two of them climbed down the crumbling stone wall with ease and walked towards a black spot in the distance.
The spot grew larger until it formed into a slender figure.
"Well, how did it go this time, little sister?"
The three of them embraced each other lovingly.
"Great! Even the soldiers didn't notice when I cut their pouches."
With a broad grin, she showed them her rich plunder.
It seemed that that day every visitor to the market had paid a high price for the shade.
The three of them eventually disappeared again into the red of the setting sun and the eternal yellow of the Sahara sand.
On their way to the next city, the next market, to their next spectacle.
